Nudging – wie Sie andere sanft beeinflussen

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Mehr Gemüse oder mehr Wurst aufs Brot? Mehr Bewegung im Alltag oder mehr Sofa? Regelmäßig Geld zurücklegen oder alles auf einmal ausgeben? Im Grunde weiß jeder, welche Wahl jeweils die richtige ist. Und doch greifen wir alle immer wieder zur schlechteren Alternative. Nudging kann dabei helfen, Entscheidungen sanft in die gewünschte Richtung zu lenken.

Nudging bedeutet „Anstupsen“. Dahinter verbirgt sich ein verhaltensökonomischer Ansatz der US-amerikanischen Professoren Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein, um Menschen die richtige Entscheidung zu erleichtern.

Beispiele für Nudging

Wir alle stehen jeden Tag vor unzähligen Entscheidungen. Und viele davon treffen wir unbewusst. Die Anordnung von Lebensmitteln am Frühstücksbüfett im Hotel entscheidet darüber, ob wir uns gesundes Obst oder fetten Schinken auf den Teller legen. Ein großer Einkaufswagen verleitet uns dazu, mehr Ware einzukaufen als eigentlich geplant. Und im Internet wählen wir eher Servicepakete, die mit „am beliebtesten“ ausgezeichnet sind, als andere. Solche Entscheidungen trifft unser „Automatic System“, wie Thaler und Sunstein es nennen, für uns. Mit anderen Worten: Einen Großteil unserer Zeit verbringen wir auf Autopilot.

Nudges sind Anstupser in die „richtige“ Richtung

Nudging versucht, von solchen Vorgängen und den Mechanismen, die dahinterliegen, zu profitieren, Entscheidungen sanft in die gewünschte Richtung zu lenken und auch den Autopilot zu beenden.

Wenn beispielsweise ein Kantinenbetreiber seine Gäste zu einer gesünderen Ernährung animieren will, richtet er sein Büfett so ein, dass die gesünderen Speisen, etwa Obst und Gemüse, weiter vorn und die ungesünderen, der Schinken, weiter hinten stehen.

Sichtbar, erreichbar und bequem

Dieses einfache Beispiel zeigt, mit welchen Mitteln Nudging arbeitet. Es sind drei Faktoren, die die Kantinenbesucher und -besucherinnen dazu bringen, zum Obst statt zum Schinken zu greifen:

  • Sichtbarkeit: Durch die Platzierung in vorderer Reihe ist das Obst sichtbarer als der Schinken und schon dadurch in der Wahrnehmung bevorzugt.
  • Erreichbarkeit: Das Obst ist leichter zu erreichen als der Schinken, für den die Gäste sich erst strecken oder weitere Wege auf sich nehmen müssen.
  • Bequemlichkeit: Die Entscheidung für das Obst ist bequem – man steht ja schon davor, dann kann man es auch gleich mitnehmen.

Hier werden also zum einen unbewusste Mechanismen (die Bequemlichkeit, in anderen Fällen auch der Wunsch, „nicht aus der Reihe zu tanzen“ oder Ähnliches) ausgenutzt. Gleichzeitig erhält jeder Gast einen kleinen Stups, um den Autopilot zu verlassen: Lohnt es sich, für den Schinken einen weiteren Weg auf sich zu nehmen, wo man sich doch eigentlich gesünder ernähren wollte? Thaler und Sunstein sprechen in diesem Zusammenhang von „Choice Architecture“.

Ist Nudging Manipulation?

Der Vorwurf der Manipulation durch Nudges wird immer wieder erhoben. Was ist dran?

Die Rahmenbedingungen verändern sich – der freie Wille bleibt

Entscheidend beim Nudging ist, dass nach wie vor alle Alternativen angeboten werden. Die ungesunden Speisen sind weiterhin vorhanden, jeder Besucher und jede Besucherin kann zum Schinken greifen. Beim Nudging wird nichts verboten, die Auswahl wird nicht eingeschränkt – das Angebot wird nur anders präsentiert. Verbote sind kontraproduktiv, sie lösen Druck aus und erzeugen dadurch das genaue Gegenteil des gewünschten Verhaltens: Es kommt zu Abwehrreaktionen. Daher gilt als Grundprinzip im Nudging, dass die Menschen nicht zu irgendetwas gezwungen werden, sondern sich freiwillig (wenn auch gelegentlich unbewusst) für die bessere, die klügere Alternative entscheiden sollen. Es darf auch keine negativen Folgen haben, wenn jemand dem Nudge nicht folgt.

Beeinflussungen lassen sich nicht vermeiden

Hinzu kommt, dass es sich nicht vermeiden lässt, die Entscheidungen anderer Menschen zu beeinflussen. Irgendwie müssen Obst und Schinken auf dem Frühstücksbüfett ja angeordnet werden. Und die Art und Weise, wie das geschieht, hat unweigerlich Einfluss darauf, welche Wahl die Besucher und Besucherinnen treffen werden. So ist es legitim und notwendig, darüber nachzudenken, welche Folgen scheinbare Nebensächlichkeiten haben – und sie dann gegebenenfalls auch zu lenken.

Missbrauch lässt sich nicht ausschließen

Der letzte Punkt, das Lenken von Entscheidungen, zeigt aber auch, dass Nudging anfällig ist für Missbrauch. Allerdings ist das nichts Neues: In der Werbung und im Verkauf ist der Einsatz psychologischer Mittel gang und gäbe. Gehen Sie einmal mit offenen Augen durch einen Supermarkt. Die übergroßen Einkaufswagen sind nur ein Beispiel. Teurere Ware steht in Augenhöhe, für preiswertere muss sich der Kunde oder die Kundin bücken oder strecken. Für die Geschäfte gibt es ausgeklügelte Pläne, wo welche Waren und Angebote aufgestellt werden sollen, um möglichst hohe Umsätze zu erzielen. Wer Kritik am Nudging zum Beispiel in der Gesundheitspolitik übt, muss logischerweise auch Kritik an moderner Verkaufspsychologie üben.

Wie Sie Nudging nutzen können

Überlegen Sie, welche Wahl Sie bei der Entscheidung Ihrer Mitmenschen auslösen wollen. Und dann machen Sie es ihnen so einfach wie möglich, sich für die gewünschte Alternative zu entscheiden.

Optimale Bedingungen schaffen

Es sollte mit wenig Aufwand und ohne negative Gefühle verbunden sein, die gewünschte Wahl zu treffen. Angenommen, Sie möchten, dass Ihre Kollegen und Kolleginnen in Ihrem Unternehmen sich mehr bewegen und häufiger die Treppe statt des Fahrstuhls nutzen? Dann sollte Ihr Treppenhaus perfekt ausgeleuchtet sein, über bequeme Handläufe verfügen und einen sauberen, ordentlichen Eindruck machen. Je dunkler, gefährlicher und schmuddeliger es daherkommt, desto seltener wird es genutzt werden.

Default-Bedingungen festlegen

Besonderes Augenmerk sollten Sie auf die sogenannten Default-Bedingungen legen. Das sind die Voreinstellungen, die gelten, wenn ein Kollege oder eine Kollegin keine Änderungen und damit im Grunde keine eigene Wahl vornimmt. Angenommen, Sie haben ein Onlineformular, mit dem Geschäftsreisen beantragt und organisiert werden. Ihre Kollegen und Kolleginnen können grundsätzlich zwischen Bahn und Mietwagen wählen, Ihr Chef möchte aber die Quote der Bahnfahrten erhöhen. Dann stellen Sie im Formular die Bahnfahrten nicht nur an die erste Stelle, sondern setzen dort bereits einen Haken. Wer auf die Bahn verzichten will, kreuzt bewusst „Mietwagen“ an.

Spieltrieb nutzen

Am erfolgreichsten sind Nudges dann, wenn sie an den Spieltrieb oder die Neugier im Menschen appellieren. Berühmt ist das Beispiel des Amsterdamer Flughafens. Die Verantwortlichen suchten nach einer Möglichkeit, die Herrentoiletten sauberer zu halten. Ihre Lösung: Sie klebten in die Mitte der Urinale kleine Bilder von Fliegen. Fortan versuchten die Männer, die Fliege zu treffen und erhöhten ihre Zielgenauigkeit im Ganzen erheblich. Das Ergebnis: deutlich sauberere Toiletten! Suchen Sie nach Möglichkeiten, den Spieltrieb oder die Neugier zu wecken. So können Sie beispielsweise die Attraktivität des Treppensteigens erhöhen, wenn Sie das Treppenhaus in unregelmäßigen Abständen mit überraschenden Fotos oder Informationen aus dem Unternehmen ausstatten. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass viele immer wieder nachschauen werden, ob es etwas Neues gibt.

Die Autorin Cordula Natusch ist Chefredakteurin des sekretaria-Magazins, freie Texterin und Redakteurin für Unternehmenskommunikation sowie Bloggerin bei www.arbeiten-im-sekretariat.de.
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